Stellungnahme des Landesbeirats für Integration Baden-Württemberg zum Wahlkampf 2025
Mit großer Sorge beobachten wir die aktuelle Migrationsdebatte in Baden-Württemberg und in Deutschland, welche zunehmend wesentliche Errungenschaften sowohl unserer Nachkriegsgeschichte als auch unserer Entwicklung als Einwanderungsland in Frage stellt. In dieser aus unserer Sicht sowohl für den gesellschaftlichen als auch demokratischen Zusammenhalt gefährlichen Situation ist es uns ein Anliegen, auf folgende Punkte aufmerksam zu machen:
1. Menschenrechte und das Recht auf Asyl sind eine der wichtigsten Errungenschaften aus den Lehren des Zweiten Weltkriegs und sind als solche unbedingt zu erhalten.
Menschenrechte, auf die wir uns heute wie selbstverständlich berufen dürfen, sind eine der wichtigs-ten Errungenschaften aus den Lehren des Zweiten Weltkrieges. Ebenso ist das individuelle Recht auf Asyl eine Folge des Schreckens des Nationalsozialismus – die Genfer Flüchtlingskonvention sollte die-jenigen schützen, die auf der Flucht vor Verfolgung sind. Wenn nun über Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, ein Ende des individuellen Rechts auf Asyl diskutiert wird, oder wenn gar ein Aus-stieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) – dem Herzstück des europäischen Menschenrechtsschutzes – in Erwägung gezogen wird, so befördert dies nicht nur den Verfall des eu-ropäischen Menschenrechtsgerüsts. Verbunden mit rhetorischen Angriffen auf die korrigierende Rolle der Gerichte werden zunehmend auch die Grundlagen unseres Rechtsstaates selbst in Frage gestellt – eine gefährliche Tendenz, die europaweit stattfindet.
Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Asyl, sind der Kern unserer demokratischen Werteord-nung und die Grundlage unseres gesellschaftlichen Miteinanders. Als solche sind sie unbedingt zu erhalten.
2. 20 Jahre Aufenthaltsgesetz sind eine Erfolgsgeschichte. Die damit einhergehenden Status-verbesserungen haben dazu geführt, dass Menschen heute gut integriert sind.
Ungeachtet rückläufiger Asylzahlen hat die Mehrheit der Menschen in Deutschland das Gefühl, der Staat hätte keine Kontrolle mehr über die Zuwanderung. In den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerät dabei, dass die deutsche Einwanderungsgeschichte seit Bestehen der Bundesrepublik insgesamt eine Erfolgsgeschichte ist, die es uns ermöglicht hat, auch herausfordernde Situationen zu meistern. Gute Migrationspolitik ist eine Balance aus Offenheit und Regeln – nur so können Errungenschaften wie die des Asylrechts nach dem Zweiten Weltkrieg aufrechterhalten werden. 20 Jahre Aufenthaltsgesetz sind ein beeindruckender Beleg für eine erfolgreiche Politik. Damit einhergehende Statusverbesserungen und zunehmende Statussicherheit für Migrant:innen haben dazu geführt, dass viele Menschen in Deutschland Fuß fassen konnten und gut integriert sind. Dies gilt auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern: Rund 70 Prozent der Migrant:innen waren 2022 erwerbstätig. Dank der gut ausgebauten Sprachförderung haben sich die Sprachkenntnisse von Eingewanderten zudem stärker verbessert als in den meisten anderen EU-Ländern.
Dieses beeindruckende Potenzial im Integrationsbereich sowie die damit einhergehenden Erfolge gilt es zu bewahren und auszubauen. In ihm liegt ein wesentlicher Schlüssel – nicht nur im Hinblick auf die Erfüllung der eigenen humanitären Verantwortung, sondern auch mit Blick auf die eigene Zukunftsfähigkeit angesichts von unumstrittenem Fachkräftemangel.
3. Aktuelle politische Kommunikation schwächt den Standort Deutschland und gefährdet den sozialen Frieden.
Die aktuelle Not- und Krisenkommunikation in der Migrationsdebatte wirkt sich schädlich auf unsere Entwicklung am Standort Deutschland aus. In der Außenwirkung wird der Unterschied zwischen Er-werbsmigration und berechtigter Fluchtmigration einerseits und der irregulären Fluchtmigration andererseits nicht deutlich. Die große Mehrzahl der Eingewanderten hat eine gesetzlich geregelte Blei-beperspektive. Die politischen Diskurse um Flucht- und Erwerbsmigration können nicht getrennt voneinander behandelt werden. Nicht nur Geflüchtete, sondern auch Erwerbsmigrant:innen nennen die Achtung von Menschenrechten als zentralen Grund dafür, dass sie Deutschland als Zielland wäh-len.2 Der aktuelle zunehmend migrationsskeptische und auf Abschottung ausgerichtete Diskurs droht dieses Kapital zu verspielen. Ausgrenzende, delegitimierende Sprache entfaltet abschreckende Wirkung sowohl nach außen als auch nach innen: einerseits gegenüber so genannten High Potentials im Ausland, die ihre Migrationspläne nach Deutschland überdenken; andererseits gegenüber der bürgerlich-etablierten Mitte der Migrationsgesellschaft in Deutschland, die sich erneut ins Ausland umorientiert.
Überdies gefährdet der aktuelle Diskurs den sozialen Frieden. Sprache macht Politik: Wenn wir über gemeinsame Werte in einer Sprache sprechen, die sich selbst von diesen Werten abwendet, drohen Spaltung und Polarisierung anstelle von demokratischem Ausgleich.
Anstatt den Standort Deutschland und den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch wenig problemlösungsorientierte Debatten zu schwächen, ist eine sachliche Auseinandersetzung mit bestehenden Herausforderungen notwendig, und – davon ausgehend – die Umsetzung zielgerichteter Maßnahmen zu deren Bearbeitung auf der Grundlage geltenden Rechts. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen wie die Erhöhung der Anzahl an Mitarbeiter:innen in den Verwaltungen und Justizbehörden sowie beim Grenzschutz, ebenso das Bereitstellen weiterer Ressourcen und passgenauer Angebote für Menschen, die aus den verschiedensten Gründen und mit den verschiedensten Fähigkeiten zu uns kommen. Dazu gehört auch eine Stärkung der länderübergreifenden Zusammenarbeit von Behörden. Nur durch eine funktionierende Judikative und Exekutive kann das Vertrauen in die Behörden erhöht werden – und somit auch in unsere Demokratie.
Die Mitglieder des Landesbeirats für Integration:
Yalcin Bayraktar, Bürgermeister der Stadt Esslingen
Mervi Herrala, Liga der freien Wohlfahrtspflege Baden-Württemberg e.V.
Dr. Konstanze Jüngling, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Markus Lux, Robert Bosch Stiftung GmbH
Argyri Paraschaki-Schauer, LAKA Baden-Württemberg
Gari Pavković, Leiter der Abteilung Integrationspolitik der Landeshauptstadt Stuttgart
Elvira Stegnos, Interkulturelles Bildungszentrum Mannheim gGmbH
Prof. Dr. Annette Treibel-Illian, Pädagogische Hochschule Karlsruhe